geschrieben von Ralph Eckert
Singapur, 20. Februar 2015 – „Wir haben ein sehr effektives öffentliches Nahverkehrssystem mit Bussen und U-Bahn und so!“ Hieß es in einer Email, als es noch darum ging, ob ich den Job hier antreten sollte. Davon konnte ich mich dann auch in der Tat überzeugen und kann diese Angabe auch bestätigen. Pünktlich gegen 6 Uhr Morgens wurde ich nämlich von den ersten Bussen geweckt, die nicht nur an meinem Fenster vorbeifuhren, sondern bedingt durch die Haltestelle direkt vor der Tür auch entsprechend lautstark anfuhren. Das Ganze in einem Takt, der keinen Kunden länger als 10min warten ließ. Fünf verschiedene Linien vor der Haustür, plus Gegenverkehr, sorgten also nicht nur für eine effektive Verkehrsanbindung mit einem Bus pro Minute, sondern gaben mir auch das Gefühl das, der gesamte öffentliche Nahverkehr durch mein Zimmer fuhr! Die Hälfte davon Doppeldecker, deren Anfahrtsgeräusch mich eher an einen Kampfpanzer erinnerten, als dass ich glauben würde, dass diese Busse einen Elektroantrieb hätten.

Nach etwa einer halben Stunde war ich wach genug, dass ich aufstand um zumindest das Fenster zu schließen. Das sorgte für einen zumindest geräuschkulissenmäßig abgedämpften Nahverkehr. Direkt zurück ins Bett. Nach einer weiteren Stunde wurde es allmählich zu warm im Zimmer. Ein Zimmer das mich von der Größe her auch weniger an einen Doppeldeckerbus, als vielmehr an die Ladeschützenseite des Kampfpanzers Leopard 1 erinnerte, die ich 1985 als ähnlich geräumig empfand. Also Klimaanlage anstellen. Nach etwa einer weiteren Stunde, war mein Genick ausreichend verkühlt, weil die Klimaanlage ausdauernd und direkt auf selbiges einwirkte.
Nun denn, gegen 9 Uhr war es dann ohnehin an der Zeit aufzustehen… Ein wenig Büro- und Vorbereitungszeit gehört schon noch dazu. Ich musste noch ein paar Technikfotos von Spielern auf meinen PC laden, um deren Spieler-Trainings-Profile zu vervollständigen. Muss immer mal wieder zwischendurch aktualisiert werden. Und zwar von der ganzen Bande, äh deren Kader meine ich. Schließlich kann man am Ende schnell in die Verlegenheit geraten, dass man ohne Report dasteht. Möglichst von jedem einzelnen Spieler. Dazu gehören dann nicht nur die 5 SEA Games Teilnehmer, sondern auch knapp 16 „Development“ Spieler. Als Trainer vor dem PC, fühlt man sich dann wie ein US amerikanischer TV-Polizist, der immer mault wenn er Innendienst schieben muss. Steht man aber am Ende ohne Report da, kann es einem schnell mal passieren, dass die letzte Zahlung nicht geleistet wird. Als Billardspieler – schon gar nicht im Bereich Pool – kann man sich jedwede nicht eingehende Zahlung schlichtweg nicht leisten… 😉

Dann geht’s aus der Wohnung raus zur MRT oder besser U-Bahn Station, welche günstig gelegen nur 250m von meinem Domizil entfernt ist. Domizil ist das Stichwort. Wo wird man als Singapurianischer Nationaltrainer eigentlich untergebracht? Ich hatte natürlich fest mit der Präsidenten Suite im berühmten modernen „Marina Bay“ gerechnet oder zumindest mit der Gouverneurs Suite im traditionellen „Raffles“ Hotel. War wohl nichts! Ich hätte die Frage, ob es denn OK wäre mir ein Zimmer in einer Privatwohnung anzubieten, nicht mit ja beantworten sollen. Ich dachte halt an die vielen Milliardäre die hier wohnen…
Aber so gab es seit 2001 ein Wiedersehen mit Peter Gilchrist, den ich seinerzeit in Bangkok (da war ich auch öfter mal Nationalteamtrainer…) zum ersten Mal getroffen hatte. Peter ist 3-facher „English Billiards“ Weltmeister! Das ist das ältere Spiel mit den 3 Kugeln, dass man auf dem gleichen Tisch spielt, der heutzutage nur noch „Snooker-Tisch“ genannt wird…
Eigentlich kommt Peter aus Groß-Britannien, aber ist jetzt seit knapp 12 Jahren eingebürgerter Singapur-Bewohner und genießt hier das Leben als English-Billiards Legende (Weltrekordhalter mit 1.200er English-Billiards Serie) inklusive staatlicher Förderung…
Da vermietet Er im Gegenzug, der Singapur Cuesports Association, auch mal günstiger ein Zimmer, damit sie dort diesen Trainer aus Deutschland unterbringen können…

Peter ist ne ziemlich coole Socke – übrigens frischgebackener Vater geworden! Ein niedliches x-Monate altes Mädchen, dass mitten in der Nacht auch mal kreischender Weise auf sich aufmerksam macht, weil es ihr wieder gelang aus Milch Kacke zu produzieren! Zumindest den akustischen Teil habe ich des Öfteren senkrecht stehend im Bett mitbekommen und musste an die armen Eltern denken, die natürlich auch den anderen Teil mitbekamen…
Aber jetzt erst mal weiter in meinem Tagesablauf zur MRT Station (Haltestelle „Haw Par Villa“). Dort nehme ich die nächste Bahn, die dort so im 5-6 Minuten Takt abfahren, vier Stationen bis „Harbor Front“. Dort steige ich um in die North-East-Strecke und fahre bis „Farrer Park“. Laufe ca. 1200m durch die pralle Hitze und durch Teile des nach Curry duftenden indischen Viertels („Little India“) bis ich schließlich gut durchgeschwitzt, im „Klassic Club“ angekommen bin. Nicht die nobelste Billardhalle aber eben der Laden in der sich die besten Spieler dieser Insel täglich treffen. Knapp 12 Pool Tische und nochmal die gleiche Menge Snooker-Tische. Klar, es gibt noch mehr und andere Billardhallen, aber „Klassic“ hat sich als der Spielertreff etabliert und gehört zum Teil auch einem der SEA Games Teilnehmer. Es ist Lian Han, der schon etwas in die Jahre gekommene Top Spieler Singapurs. Diesen Spot wird Er wohl seinem 18-jährigen Zögling Aloysius Yapp überlassen müssen. Einfach nur wegen dessen kürzlichen Erfolgen (u.a. aktueller Jugend-Weltmeister). Apropos „Aloysius“. Ich hatte ja eigentlich mit eher chinesisch klingenden Namen gerechnet, aber hier haben viele voll klassische westliche Namen, wie z.B. Alfons, Clemens, Kurt, Samuel, Christopher und eben auch Aloysius! Von den Namen her, hätte ich eher auf Teilnehmer der oberbayerischen Bezirksmeisterschaften getippt, als auf eine Gruppe Top Spieler aus Singapur….

Von Wohnungstür bis „Klassic“ Eingang brauche ich täglich so um die 35min. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind aber sehr angenehm hier. Blitzsauber, höchst effektiv und zuverlässig! Der Strafenkatalog bei Zuwiderhandlung ist wohl auch kostspielig und jedem bekannt. Kein nachlässig fallen gelassener Papierschnipsel entgeht den zahlreichen Kameras hier! Es soll sogar schon mal eine U-Bahn angehalten worden sein, weil Jemand ein Kaugummi kaute…
Nun denn, gegen 12 Uhr bin ich dann auch gewöhnlich da und begrüße die bereits anwesenden Spieler oder warte bei einer Tasse Tee, bis sie denn da sind. Hier hat irgendwie jeder seinen eigenen Zeitplan… 😉

Nach einiger Zeit konnte ich mich auch recht entspannt anpassen (Situation änderbar oder nicht? Dann entsprechend handeln…). Deswegen hat Jeder seinen eigenen zusammengestellten individuellen Trainingsplan, den ich dann einfach zücke, begleitet mit einem Blick in meinen Rahmenplan. Ein Plänlein, in dem so ziemlich alles, natürlich höchst Sinnvoll, zusammengerührt ist was ich so in den letzten 30 Jahren erfahren oder rausgebracht habe. Ein schöner Mix aus „Modernes Pool“, „PAT“, „Sportpsychologie-Gasthörer-Studium“, „Mr. Kim“ und aktuell „Checkbilliard“!
Eventuell nötige Gesamt-Gruppen-Ansagen (muss ja auch mal sein…), verschiebe ich dann gewöhnlich auf die Zeiten der höchsten Vollzähligkeit. Viermal die Woche sind die 5 SEA Games Teilnehmer (3 Herren, 2 Damen) in meiner Verantwortung und einmal die Woche die größere, aber zeitlich gestaffelte Gruppe der „Entwicklungs-Spieler“.
Heute stand für die SEA Games Spieler mal eine ganz neue Übung an, bei der sie maximal alle 15 Kugeln nacheinander versenken sollen. Spielkugel immer aus der gleichen Position und die Objektkugeln so verteilt, dass sie schon sehr genau wissen müssen wie die Spielkugel läuft, ohne eine unbeteiligte Kugel zu berühren. Ausnahmsweise habe ich diese Übung auch mal auf Facebook gepostet. Zum Nachschauen sozusagen…
Es wurde natürlich noch viel mehr gemacht. Man hat mir schon klar zu verstehen gegeben wieviel ein Medaillen Gewinn für Singapur bedeutet und speziell wieviel für die Cuesport Association dabei auf dem Spiel steht! Sie wollten von mir also das komplette Ko-Programm -> Kondition, Koordination, Kognition… 😉

Natürlich habe ich vor diesem Engagement und wegen der hohen Verantwortung auch einen Blick in die Besoldungskladde für interkontinental agierende Plastikkugelschubsende-Besserwisser geworfen…
Gegen 18 Uhr komme ich dann gewöhnlich zum Ende des Trainings und entlasse die Spieler in Ihren Abend, an dem sie sich meistens weiter spielerisch betätigen und auf der Suche nach Matches, Wetten und Gegnern sind…
Mein eigenes Spiel leidet etwas in dieser Zeit. Nach 6 Stunden Training geben, will man natürlich was Anderes machen. Und sich dann noch selbst an die Platte zu stellen? Naja, am Anfang habe ich mich dazu gezwungen aber dann habe ich einfach im Training mehr Übungen wie sonst vorgemacht, so dass ich selbst auch auf eine einigermaßen zufriedenstellende Spielzeit kam…

Aber zum 14.1 spielen bin ich leider so gut wie nie gekommen. Ärgerlich! Wo ich doch letztes Jahr eine so schöne „Trainings“-Quote hatte! Habs aufgeschrieben, also im Jahr 2014 steht da: 44x Ü100, davon 9x Ü150, davon 3x Ü200 und eben meine persönliche Rekordserie von 350! Angeberei? Ja, ein bisschen vielleicht. Aber auch Stolz! Schließlich werde ich bald 50 und Andere schreiben Bücher, nach Ihrem Zenit, während ich mich nach jedem Buch nochmal steigern konnte…
Nehmt das jetzt bloß nicht als Aufforderung den Billardbuchmarkt zu überschwemmen! 😉
Aber ich schweife ab! Nach dem Training habe ich mich entweder noch kurz als Sparringspartner zur Verfügung gestellt, bin unten am Eck Dim-Sum essen gegangen oder früh wieder zurück ins Domizil, um Sport zu machen. Immerhin konnte man hier gut joggen gehen oder den großzügigen Swimming Pool der Hausanlage nutzen. Dann am späteren Abend wieder ein wenig Office Work. Da geht es dann nicht immer um die Sportler- und Trainingsauswertungen, als vielmehr auch um die üblichen Emails und meine Vorbereitungen zu meinem Umzug nach Berlin zum 01.04.2015! Am Karfreitag, den 03.04. feiere ich dort im Bata-Billard sogar meinen 50. Geburtstag nach und es soll auch meine kleine Einstandsfeier in der Berliner Billardszene sein. Berliner Billardspieler und Interessierte, können gerne mal vorbei schauen und Hallo sagen. Würde mich freuen! (Aber der Ausschank auf meine Rechnung ist limitiert! 😉 )

Es gibt natürlich noch mehr zu erzählen, aber ich muss ja auch noch meine TOUCH Kolumne schreiben. Wenn Ihr also wissen wollt wie es weiter ging und was sonst noch so alles passiert ist, dann schaut doch mal in die nächste TOUCH rein… 😉
Ralph Eckert, Singapur.
Links:
www.checkbilliard.com
www.touch-magazine.net
www.batabar.de
www.ralpheckert.com
www.billard-dienst.de
Schön geschrieben, Ralf. 🙂 Guten Umzug.